Das Leben konfrontiert uns immer wieder mit Herausforderungen, Schwierigkeiten und stressigen Situationen. Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Haltung des Selbstmitgefühls in solchen Situationen unterstützt und stärkt. Selbstmitgefühl hilft im Umgang mit Lebenskrisen wie auch bei Alltagsstress, emotionale Stärke zu entwickeln, gelassener und resilienter zu werden.
Welche positiven Auswirkungen hat Selbstmitgefühl?
Immer mehr Forschungsergebnisse zeigen die positiven Auswirkungen von Selbstmitgefühl. Selbstmitgefühl ist eine sehr wirksame Möglichkeit, um emotionales Wohlbefinden und Zufriedenheit zu stärken. Menschen, die Selbstmitgefühl praktizieren, sind weniger ängstlich und leiden seltener unter Depressionen. Sie neigen weniger zu Stress und haben weniger überzogene perfektionistische Erwartungen an sich selbst[1]. Selbstmitgefühl geht mit vielen positiven emotionalen Zuständen wie Glück, Optimismus, Zufriedenheit, Neugier, Kreativität und Selbstvertrauen einher.[2]
Worauf basiert das Konzept des Selbstmitgefühls?
Kristin Neff ist Professorin für Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung an der Universität von Texas in Austin mit dem Forschungsgebiet Selbstmitgefühl. Sie hat auf der Basis ihrer Forschungsergebnisse ein Konzept für Selbstmitgefühl entwickelt. Das Konzept basiert auf drei Bausteinen: 1. Die Erkenntnis, wir verdienen alle in schwierigen Situationen Güte, Trost und Mitgefühl. 2. Es ist Teil des Menschseins, Leiden und schwierige Situationen zu erleben und auch Fehler zu machen. Durch diese Erfahrungen sind wir als Menschen alle miteinander verbunden. 3. Achtsamkeit im Hinblick auf unsere Wahrnehmung, Gefühle und Gedanken. Dies bedeutet, auch negative Gefühle zuzulassen und anzunehmen, statt sie wegzuschieben.
Wie kann Selbstmitgefühl konkret praktiziert werden?
Sich selbst Mitgefühl zu geben, beginnt mit der Wahrnehmung der eigenen Gefühle. Dies erfordert ein Innehalten und sich auf diese Gefühle einzulassen, auch wenn es sich unangenehm anfühlt. Es mag zunächst einfacher erscheinen, sich abzulenken oder sofort nach einer Lösung zu suchen. Doch Gefühle lassen sich nicht so einfach wegdrängen. Sie ploppen, solange sie nicht angenommen werden, schnell wieder hoch, wie ein Luftballon, den man unter Wasser zu halten versucht. Selbstmitgefühl bedeutet, die eigenen Gefühle in einer Situation wahrzunehmen, ohne sie zu dramatisieren. Dies gelingt, wenn wir uns selbst zuwenden, wie es eine liebevolle Großmutter oder ein guter Freund tun würde. Wir können uns selbst trösten und uns Mut zusprechen: „Ja, das ist jetzt wirklich nicht einfach, mein Schatz. Du bist jetzt wütend und traurig. Das ist sehr verständlich.“ Auch die Benennung der Emotionen trägt schon dazu bei, etwas Distanz zu ihnen schaffen, ohne von ihnen mitgerissen zu werden.
Was kann Selbstmitgefühl in einer akuten Stresssituation helfen?
In einer akuten Stresssituation geht es zunächst darum, sich selbst zu beruhigen. Hier hilft es schon, sich selbst die Hände auf das Herz zu legen oder sich selbst zu umarmen, so wie wir auch einer guten Freundin, einem Freund oder einem lieben Verwandten körperlich Trost spenden würden. Dies beruhigt den Körper und verringert schon etwas das Stressgefühl, weil dadurch Oxytocin ausgeschüttet wird. Gleichzeitig können wir uns mit tröstenden Worten stärken. „So etwas kommt vor. Es passiert nicht nur Dir. Es geht vorbei.“ Wir können uns mit dem Gefühl von liebevoller Güte uns selbst zuwenden und uns selbst die Worte sagen, die wir von anderen gerne hören würden.
Wie zeigt sich mangelndes Selbstmitgefühl?
Menschen mit wenig Selbstmitgefühl stellen oft sehr hohe Erwartungen an sich. Sie haben starke innere Antreiber und wollen alles besonders gut und richtig machen und viel leisten. Werden sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, reagieren sie häufig sehr selbstkritisch. Ihr innerer Kritiker hadert dann, macht Druck und fordert mehr Leistung – und dies oft mit herabsetzenden Worten. Insbesondere wenn Menschen in ihrer Kindheit oft kritisiert wurden, verinnerlichen sie dies als eigene innere Stimme. Als Erwachsene reagieren sie, wenn sie ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllen, automatisiert mit harscher innerer Selbstkritik.
Warum wirkt Selbstmitgefühl besser als Selbstkritik?
„Jetzt hast Du schon wieder versagt. So kann das nicht weiter gehen. So kommst Du nie voran.“ Die Stimme des inneren Kritikers erinnert an einen strengen und anklagenden Lehrer. Die Stimme des Selbstmitgefühls hört sich hingegen wie ein zugewandter und ermutigender Lehrer an: „Du hast dein Bestes gegeben. Auch wenn du gerne mehr erreicht hättest, es ist jetzt nun mal so. Du kannst daraus lernen und es beim nächsten Mal besser machen.“ Was meinen Sie, welcher Lehrer ist hilfreicher, um sich weiterzuentwickeln?
Wie unterscheidet sich Selbstmitgefühl von Selbstmitleid?
Selbstmitgefühl ist nicht zu verwechseln mit Selbstmitleid. Selbstmitleid ist egozentrisch und wirkt schwächend. Wer sich selbst bemitleidet, sieht sich als Opfer von anderen oder den Umständen und damit als benachteiligt oder ungerecht behandelt. Selbstmitleid weist immer anderen die Schuld zu im Sinne von „Schau, was mir angetan wurde.“ Das hört sich dann z.B. so an: „Die Klausur war viel zu schwer. Deshalb habe ich sie nicht geschafft.“ Gerne erzählt das Selbstmitleid auch verschiedene Varianten von „das Leben ist ungerecht zu mir.“ Selbstmitgefühl hingegen erkennt, Versagen, Rückschläge oder Schicksalsschläge kommen vor. Auch wenn wir nicht leiden wollen, geschehen solche Situationen. Dabei werden die eigenen Gefühle wahrgenommen und sich selbst tröstende Wort zugesprochen, ohne die Situation durch negative Gedanken weiter zu befeuern. So wird weder eine Geschichte noch ein Drama aus der aktuellen Situation gemacht. Sie ist wie sie ist.
Nicht immer, wenn wir in einer schwierigen Situation stecken und uns schlecht fühlen, ist jemand anderes da, der uns liebevoll tröstet. Wir haben jedoch immer die Möglichkeit, selbst für uns dazu sein und uns selbst die Worte zu sagen, die wir von anderen gerne hören möchten.
Autorin: Petra Weber, Coachingzentrum Heidelberg
[1]Kristin Neff: Selbstmitgefühl (München: Kailash Verlag, 2012)
[2]Kristin Neff: Selbstmitgefühl Schritt für Schritt (Freiburg: Arbor, 2019)
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